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Barrierefreiheit: Unsere Lernreise

Barrierefreiheit: Unsere Lernreise
Hindernis steht auf einem Sportplatz

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Digitale Barrierefreiheit: Unsere Lernreise

Wie sieht unser Weg zu mehr digitaler Barrierefreiheit aus?

Bisher haben wir von Digital Für Alle nie über uns selbst gesprochen. Wir wollten unsere Arbeit in den Vordergrund stellen, nicht unseren Weg dahin. Beim Thema digitale Barrierefreiheit haben wir nun im Rahmen unseres 100xDigital-Projektes der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt umgedacht. Wer sich mit digitaler Barrierefreiheit auseinandersetzt, lernt viel über sich selbst. 

Wir wollen erzählen, was wir bisher im Bereich digitaler Barrierefreiheit gelernt haben. Klar ist: Wir sind noch lange nicht damit fertig. Aber vielleicht können wir den Einen oder die Andere ermutigen, sich selbst auf die Reise zu machen. 

Wir als Initiative versuchen mehr Bewusstsein für das Thema digitale Teilhabe zu schaffen. Multiplikator zu sein ist unser Hebel. Und das tun wir nun auch mit dieser für uns eher ungewöhnlichen Veröffentlichung. Wir danken der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die uns mit ihrer Finanzierung hilft, unsere Arbeit an digitaler Barrierefreiheit zu verstetigen und in die Breite zu tragen. 

Viel Spaß beim Lesen!

 

 

1. Wir fangen nicht bei Null an

Beim Thema digitaler Barrierefreiheit fangen wir im Jahr 2023 nicht bei Null an. Irgendwann haben wir aber einmal bei Null angefangen. Das war vor vier Jahren. Da haben wir bewusst begonnen, Barrieren abzubauen. 

Der Digitaltag ist unser größtes Projekt. Er wird von einem Partnerkreis aus 28 Organisationen getragen. In diesem Partnerkreis war es das gemeinsame Grundverständnis unserer Arbeit, dass wir digitale Teilhabe ermöglichen und fördern wollen. Ende 2020 haben wir uns damit auseinandergesetzt: Was bedeutet das denn, so im Allgemeinen und Spezifischen? Daraus haben wir Grundpfeiler formuliert, auf die sich die 28 Organisationen einigen konnten. Anfang 2021 haben wir einen Appell mit unseren Inhalten und Forderungen veröffentlicht. 

Und darin stand auch ein kleiner Teil zu Barrierefreiheit.

Wer keinen nennenswerten Barrieren ausgesetzt ist und wenig Ahnung hat, denkt, dass Barrierefreiheit ein Nischenthema ist. Aber uns hat eine Studie wach gemacht. 30% aller Menschen, die das Internet benutzen, benötigen digitale Barrierefreiheit wirklich (siehe Aktion Mensch). Dazu gehören die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen, egal ob diese Einschränkungen aus Altersgründen oder von Unfällen herrühren oder genetisch bedingt sind.

Uns ist klar geworden: Es gibt viel, das wir nicht wissen, obwohl Teilhabe uns wichtig ist. Vor der Aufklärung nach außen stand also erstmal sehr viel Aufklärung nach innen. 

Bei Digital Für Alle haben wir, um einen Anfangspunkt zu haben, pragmatisch nach außen geschaut: Wie machen andere das? Wer könnte unser Vorbild sein? Wir haben die Livestreams vom Girls Day studiert, das ist ein Aktionstag wie unser Digitaltag. Wir haben die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit konsultiert und haben uns angesehen, wozu öffentliche Stellen verpflichtet sind (vgl. Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz: BITV 2.0). Die Kenntnisse, die wir dadurch gewonnen haben, haben wir mit unserem Partnerkreis unter die Lupe genommen. Außerdem haben wir mit Domingos de Oliveira einen blinden Aktivisten zum Gespräch eingeladen. Kurz: Wir haben uns mit anderen ausgetauscht und unser Netzwerk erweitert. 

Die Priorisierung unserer Aktivitäten war dann ein Entwicklungsprozess. Wo fängt man an? Wie kann man die Welt ein kleines bisschen besser machen? Wir haben uns zunächst auf Hör- und Seheinschränkungen konzentriert. Wir dachten, das seien große Hebel, die vermeintlich leicht umsetzbar sind und eine große Zielgruppe haben. Das Thema Leichte Sprache kam dann später ausführlicher. 

Als eines der ersten Projekte haben wir uns unsere eigene Webseite vorgenommen. Die musste nachträglich barrierefrei gemacht werden. Es öffnet die Augen, die eigene Webseite nur mit der Tastatur – und nicht über Maus oder Touchpad – zu steuern. Da lernt man sehr schnell sehr viel über Barrierefreiheit. Beim nächsten Mal würden wir die Zugänglichkeit von Anfang an mitdenken, statt sie nachträglich reinzuoperieren. Aber nachher ist man immer schlauer.

 

2. Nachher ist man immer schlauer

Ein Lernprozess ist ein Prozess, bei dem man etwas lernt. Im Volksmund heißt das: Nachher ist man immer schlauer. Ein Klassiker, der auch bei digitaler Barrierefreiheit gilt. 

Wir haben sehr viele Erkenntnisse durch Feedback gewonnen. Wir sind auf X (ehemals Twitter), Instagram, Facebook, Mastodon, YouTube und LinkedIn aktiv. Und da haben wir manchmal zu hören bekommen: Wisst ihr eigentlich, dass das gar nicht so barrierefrei ist, was ihr da macht?

Am Anfang haben wir Kommentare beantwortet und nachgefragt, ob die Schreibenden noch weitere Tipps für uns haben. Mit der Zeit sind wir dann einfach besser und barriereärmer geworden, deshalb bekommen wir zu dem Thema nicht mehr so viele Nachrichten. Wir haben trotzdem weiterhin ein Formular zu Barrierefreiheit, wo man uns Feedback schicken kann.

Gerade bei Social Media, also bei bildlichen Medien, gibt es einfache Tricks, die man so in seine Routine mit aufnehmen kann. Wenn man sich einmal damit beschäftigt, fallen einem ganz viele Sachen auf. Wir haben zum Beispiel begonnen, Alternativtexte bei Grafiken zu schreiben. Wir haben gelernt, auf welche Art und Weise man Hashtags schreibt: nicht #digitalefüralle, sondern #DigitalFürAlle. Starke Kontraste sind auch so ein Thema. Auf barrierefreiposten.de haben wir viel darüber gelernt.

Den Umgang mit Feedback mussten wir lernen. Meistens haben wir nettes Feedback bekommen, damit ist es natürlich leicht umzugehen. Dann gibt es Leute, die auf ihrem Standpunkt beharren. Die sind sehr wichtig für uns. Und auch das nicht so nette Feedback haben wir sehr zu schätzen gelernt. Wir wissen: Wir haben ein paar Leute, die uns beobachten. Wir dürfen nicht zu bequem werden. 

Zum Digitaltag haben wir 2022 erstmals unseren Livestream durch Gebärde begleitet – und haben die Übersetzer anfangs viel zu klein eingeblendet. Über den Tag wurde das Bild immer größer. Im zweiten Jahr haben wir die Übersetzer direkt groß (etwa ein Drittel des Bildschirms) eingeblendet. Da kam dann Feedback von einer Person, dass das total stören würde. Die Beschwerde war, dass die Einblendung davon ablenke, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Solche Kommentare muss man einsacken. Denn je mehr man drin ist und je mehr man sich Wissen aneignet, desto mehr traut man sich eigene Meinung zu und kann seine Position verteidigen. Es ist eine Lernkurve, sich zu positionieren.

Außerdem färbt das Feedbacksystem auf unser eigenes Verhalten ab. Wenn wir uns heute mit anderen Organisationen austauschen, zum Beispiel zu Social Media, dann weisen wir öfter und mehr auf das Thema digitale Barrierefreiheit hin. Denn weil uns das Feedback geholfen hat, geben wir selbst auch öfter Feedback. 

 

3. Es wird immer ein Besser geben

Wir hatten nie eine definition of done, wie es im agilen Projektmanagement heißt. Mit anderen Worten: Wir hatten kein Zielbild im Kopf. Denn ehrlicherweise werden wir nie gänzlich frei von Barrieren sein. 

Natürlich haben wir einen Traum: Wenn wir den Livestream perfekt hätten, wären Gebärde und Untertitel und Übersetzung in Leichte Sprache integriert. Bisher standen wir diesbezüglich immer vor technischen Barrieren. Außerdem ist es schwierig, diese Perfektion personell und damit auch finanziell umzusetzen.

Die automatische Untertitelung von YouTube zum Beispiel ist gut. Aber wir schaffen es nur, sie sprachlich noch einmal zu überarbeiten, wenn wir Werkstudierende haben. Das muss man sich, gerade bei endlichen Ressourcen in der NGO-Welt, offen eingestehen. 

Dann ist es noch Teil vom Lernprozess, zu verstehen, dass es ressourcenschonender ist, nicht alles selbst zu machen. Zum Beispiel können wir barrierefreie PDFs gar nicht selbst herstellen. Dafür hat unsere Grafikagentur Experten, die diese PDFs sowohl ästhetisch ansprechend als auch barrierefrei gestalten können. Das ist wichtig, damit sie von Screen Readern normal vorlesbar sind, ohne dass Kauderwelsch ankommt, weil irgendwo auf einmal ein Bild mit Unterschrift eingerückt ist.

Aber nicht nur wir werden besser; sondern auch die Technologie. Als wir begonnen haben, gab es Summ AI noch nicht. Damit kann man Texte in Leichter Sprache ausgeben lassen. Wobei der Mensch immer noch gebraucht wird. Denn man muss die Texte noch redigieren. Man muss prüfen: Entsprechen die Texte dem Wortschatz A1, A2? Die Künstliche Intelligenz unterstützt zwar viel, doch es wird kniffelig. Ohne Ausbildung kann man als Laie zwar nah an Leichte Sprache rankommen. Aber man beherrscht sie nicht. Im Optimalfall lässt man Betroffene der Zielgruppe noch testen, ob die Texte für sie wirklich verständlich sind. 

Man spart also nicht unbedingt finanziell durch KI. Aber dafür gewinnt man die tiefe Auseinandersetzung mit Sprache. Nicht nur einmal haben wir gedacht: Wir sind davon ausgegangen, dass wir uns schon einfach ausdrücken - aber was haben wir uns denn bitte bei dieser komplizierten Formulierung gedacht?

Digitale Barrierefreiheit hat also auch den Effekt, dass man generell über Kommunikation reflektiert. Wir formulieren präziser, besser, kürzer, seitdem wir uns mit dem Thema auseinander setzen. Alte Menschen zum Beispiel können mit Anglizismen wenig anfangen. Wordings? Learnings? Change? Es ist eine Herausforderung, auf bequeme Sprache zu verzichten und sich trotzdem verständlich ausdrücken. Das ist ein weiterer großartiger Lernpfad – gerade, wenn man aus akademischen Kreisen kommt. 

Zusätzlich zu der konkreten Arbeit versuchen wir, unsere Multiplikatorfunktion zu nutzen, um dem Thema Sichtbarkeit zu geben. Wir haben einen Flyer entworfen, in dem wir ganz niedrigschwellige Tipps geben, und empfehlen Organisationen, die sich damit sehr gut auskennen. 

 

4. Wir haben Barrierefreiheit geplant und SEO bekommen

Es ist das vorherrschende Bild, digitale Barrierefreiheit selbst als Barriere in der eigenen Arbeit zu sehen. Wir finden: Es wird übersehen, welche krassen Vorteile die Beschäftigung mit dem Thema bringt. 

Die Wirkung auf Kommunikation haben wir schon angesprochen. Dazu gehören auch Emojis, die große Verbreitung gefunden haben. Wie übersetzt ein Screen Reader die Emojis? Aus ✨ Digitaltag ✨ wird Sparkles Digitaltag Sparkles. Das muss man sich einmal anhören und merkt, dass das furchtbar klingt. Man lernt, Emojis am Ende des Satzes einzusetzen und grundsätzlich sparsamer damit umzugehen, dann funktioniert das mit dem Screenreader besser und ist vor allem auch verständlicher.

Unsere Webseite ist dank digitaler Barrierefreiheit auch besser in der größten Suchmaschine Google aufzufinden. Wenn man Grafiken auf der Webseite mit alternativem Text versieht, wird die Webseite nämlich besser bewertet. Da gibt es mehrere Strukturprinzipien, die Google bevorteilt.

Es ist schwer, genau zu messen, ob wir mit unseren Aktivitäten zu digitaler Barrierefreiheit Erfolg haben. Ob wir diese 30% der Menschen, die auf digitale Barrierefreiheit angewiesen sind, erreichen. Aber das müssen wir auch nicht. Denn wir kennen unsere Verbesserungen: Unsere Inhalte lesen sich im Screen Reader besser. Unser Livestream kann auch von gehörlosen Menschen verfolgt werden. Menschen, die darauf angewiesen sind und sich für unsere Inhalte interessieren, erleichtern wir so die digitale Teilhabe an unserer Gesellschaft.

Und vielleicht interessieren die Menschen sich ja sogar für unsere Inhalte, einfach weil sie zugänglich sind.

 

Für alle, die ihre eigene (digitale) Barrierefreiheit optimieren wollen, haben wir auf unserer Webseite hier hilfreiche Links, Tipps und Beispiele aus unserem Partnernetzwerk zu Thema zusammengetragen. So möchten wir als Multiplikator dienen, unser Wissen teilen und Ressourcen für diejenigen schaffen, die wir wir, irgendwann mal ganz am Anfang stehen.